François Robinchon de la Guérinière (* 1688; † 1751) entwickelte den noch heute gültigen korrekten Sitz des Reiters.
In seinem 1733 erschienen Buch École de Cavalerie beschrieb Guérinière als erster eine systematische Ausbildung für das Pferd, die vom Leichten zum Schweren führt, und noch heute als Grundlage für die klassische Reitkunst gilt.
Der vollständige Titel lautet in der deutschen Übersetzung:
Reitkunst oder gründliche Anweisung zur Kenntnis der Pferde, deren Erziehung, Unterhaltung, Abrichtung, nach ihrem verschiedenen Gebrauch und Bestimmung.
Das Buch ist eigentlich keine Reitlehre sondern eher eine Enzyklopaedie. Guérinière lehnte jede Gewaltanwendung bei der Ausbildung des Pferdes ab und verlangte, dass jedes Pferd individuell ausgebildet werden müsse, so wie es seine Anlagen erfordern.
Nachdem Guérinière aufgrund finanzieller Probleme eine eigene Reitschule einstellen musste, war er von 1730 bis zu seinem Tod im Marstall von Ludwig XV. angestellt. Außerdem leitete er die Reitschule der Tuilerien und durfte den Titel Ecuyer du Roy (Reitmeister des Königs) führen.
Im Gegensatz zu Antoine de Pluvinel, seinem Vorgänger in der gewaltfreien Schule, sah Guérinière die Ausbildung des Pferdes als eine Vervollkommnung der Natur und wollte damit in einigen Bereichen, wie zum Beispiel dem Galopp, über die natürlichen Bewegungen der Pferde hinausgehen.
Wie andere Autoren legt auch Guérinière größten Wert auf Ungezwungenheit (sans contrainte, naturellement). Der feste Sitz soll nicht nur aus den klammernden Unterschenkeln und Knieen entstehen, sondern aus dem Gleichgewicht (l’Équilibre), genauer dem durch elastisches Mitschwingen der Mittelpositur ergebenden gleichbleibenden Kontakt zum Sattel. Dass man hierzu einen ausreichenden Knie- und Oberschenkelschluß benötigt, betonen Guériniére und Newcastle ausdrücklich.
„Hat das Pferd drei- bis viermal auf einer Hand herum gelaufen, und gehorchet, so läßt man es stillhalten und schmeichelt ihm… Nachdem man es hat verschnauben lassen, läßt man es an der anderen Hand traben und beobachtet dabei das nämliche… Starke und oft wiederholte
(aus: Guérinière: Reitkunst oder gründliche Anweisung, S. 173, Reprint
Schläge bringen ein Pferd zur Verzweiflung, machen es lasterhaft, zum Feind des Menschen und der Reitbahn, und berauben es jener Zierlichkeit, die niemals wieder kommt, wenn sie einmal verloren ist.
Aus demselbigen Grunde darf man es auch nicht zu lange traben lassen, denn es ermüdet das Pferd, und macht es verdrüßlich; vielmehr muß man es mit derselben Munterkeit, mit der es aus dem Stalle kam, wieder in denselben zurück schicken.“
1989.)
Neben dem “heute noch üblichen Sitz”* erfand Guérinière auch das Schulterherein (frz. épaule en dedans) und den Pritschensattel, um dem Reiter die neue Form des Sitzes, die in den bis dahin üblichen Sätteln kaum realisierbar war, zu erleichtern.
“Die vornehmste Aufgabe des Sitzes ist es, das Pferd nicht zu stören.”
(Francois Robichon de la Guérinère)
*Übersetzer und Gutachter sind allerdings vor Jahren zu der bitteren Erkenntnis erlangt, dass die deutsche Übersetzung des Werkes von de la Guérinière (deren Begriffe und Formulierungen teilweise 1:1 in die HDV und später in die Richtlinien transferiert wurden) völlig falsch war und somit ein Reiten nach der deutschen Übersetzung eigentlich nicht möglich sei:
»Aus dieser Zeichnung müßte selbst Laien klar werden, daß der korrekte deutsche Dressursitz ziemlich genau das zeitigt, was La Guérinière den »größten aller Fehler« nennt, nämlich das sich nach vorne Neigen mit steif aufgerichtetem Becken, Hohlkreuz und Oberschenkelschluß, und daß La Guérinière selber gänzlich anders ritt, nämlich mit Lockerheit und Losgelassenheit, das Becken bequem nach hinten abgekippt und mit den lockeren Schultern belastet, somit ohne Hohlkreuz, dafür mit offenem, lockeren Schenkelhang und losgelassenen Zügeln.«
(Zitat aus Solinskis »ABC – des Freizeitreitens«)
Neben der Definition des Sitzes ist vor allem die Beschreibung des Appui – zu deutsch leider mit Anlehnung übersetzt – ein weitreichendes “Missverständnis”:
Appui (“Anlehnung”) nennt man das Gefühl, welches die Wirkung der Stange in der Hand des Reiters hervorbringt und anderen Teils die durch die Hand des Reiters auf des Pferdes Laden zuwege gebrachte Wirkung. Es gibt Pferde, die zu wenig, andere die zu viel und noch andere, die volle Appui/Anlehnung haben (apppui à pleine main). Die, welche keine oder zu wenig Appui/Anlehnung haben, sind solche Pferde, die das Mundstück fürchten und dessen Druck auf den Laden nicht leiden können. Diejenigen Pferde, welche zu viel Appui/Anlehnung haben, sind solche, die sich in die Hand legen. Wenn ein Pferd aber, ohne sich in die Hand zu legen oder mit dem Kopf zu schlagen, eine stete, leichte und mäßige Appui/Anlehnung hat, so sagt man: es hat vollen Appui/Anlehnung oder das beste Maul. Diese drei schönen Eigenschaften, die das gute Maul eines Pferdes bezeichnen, sind mit jenen der Hand des Reiters übereinstimmend, die ebenfalls leicht, sanft und stete sein muss.
(neuere Übersetzung aus dem französischen der Definition des Appui /”Anlehnung” von de la Guérinière)
Schon kurz nach den Erscheinen der Erstausgabe gelangt das Werk nicht zuletzt wegen der überragenden Qualität der von Charles Parrocel erstellten Bilder zu Weltrum und verkauft sich gut. Guérinière selbst gibt mehrere Ausgaben mit Ergänzungen und in anderen Formaten heraus, die billiger sind aber nicht die Klasse der ersten Auflage erreichen.
Das Leben von Francois Robichon de la Guérinère im Überblick:
Guérinère wurde am 8. Mai 1666 in Essay (Orne) als Sohn eines Rechtsanwalts geboren.
- 1705 -1715 ist er zusammen mit seinem älteren Bruders Pierre des Brosses de La Guérinère Schüler in der Academie d’Équitation de la rue des Canettes in Paris
- 1715 Erhält er vom Grand Ecuyer des Königs seinen Bestallungsbrief, der ihn zur Gründung einer Reitakademie und zum Emfang von statlichen Zuschüssen berechtigt. Er kauft zusammen mit seinem Geschäftspartner Colmenil ein Ballhaus mit der Absicht, eine Reitakademie zu gründen.
- 1717 Eröffnung und baldiger Erfolg
- 1718 Heirat mit Marguerite Martine Robin de la Forest
- 1719 anlässlich der Schließung der Reitakademie in der Rue des Égouts Kauf von Kutschen und Gespannen.
- 1719 – 1724 finanzielle Probleme und Trennung von seinem Kompagnon Colmenil, der in dubiose Geschäfte mit einem Spielcasino verwickelt war.
- 1724 Francois Nicolas Desprez wir neuer Partner
- 1725 finanzielle Schwierigkeiten trotz wachsendem Erfolg der Akademie
- 1729 – 1730 Veröffentlichung des ersten Bandes der École de Cavalerie
- 1730 Ernennung zu Direktor der Manege de Tuileries
- 1731 Veröffentlichung des zweiten Bandes und erweiterte zweite Ausgabe
- 1733 Erste Edition in Folio (25×35cm)
- 1733 bis 1742 Einrichtung der Academie de La Guérinière in der Rue de T0urnon 1736 Ausgabe von zwei Bänden (oktavformat 18,5×22,5cm)
- 1740 Titel “Écuyer ordinaire du Roy” Veröffentlichung der “Elements de cavalerie“, einer gekürtzten Ausgabe von École de Cavalerie
- 1743 Charles de Lorraine-Armagnac, Grand Ecuyer, gestaltet nach Plänen von Guériniere die Manège des Tuileries neu. Guérinère ist in der “Manege de Versailles” von Mai bis Oktober.
- 1751 stirbt er am 2.Juli – zweite Auflage der “École de Cavalerie” in Folio
- 1751 -1758 seine Tochter Anne-Antoine und sein Schwager Francois-Ignace de Croissy übernehmen Manege de Tuileries
„Das Wissen um die wahre Natur der Pferde ist die erste Grundlage der Reitkunst und jeder Reiter muss daraus sein Hauptfach machen.“
(Francois Robichon de la Guérinère)
Quellen: wikipedia, reitlehre.de