“Reite dein Pferd vorwärts und richte es gerade.”
Diesen Satz kennt wohl jeder deutsche Reitschüler aus dem Reitunterricht zu Genüge. Der Satz stammt von Gustav Steinbrecht und nicht nur diesen Satz haben die deutschen Reitschüler dem 1808-1885 lebenden Steinbrecht zu verdanken. Denn kaum ein anderer Reitmeister hat der deutschen Reiterei so sehr seinen Stempel aufgedrückt wie Gustav Steinbrecht. Kann man Pluvinel getrost als den Vater der französischen Reitlehre bezeichnen, so ist Gustav Steinbrecht sicherlich der Vater der deutschen Reitlehre.
Der Werdegang des Reitmeisters Gustav Steinbrecht
Gustav Steinbrecht war ein Schüler von Louis Seeger, welcher den jungen Gustav auch von seinem eigentlichen Berufswunsch abbrachte – denn der junge Steinbrecht wollte eigentlich Tierarzt werden. Nach der eigenen Ausbildung zum Berufsreiter (außerhalb des Militärs) leitete er eine Zeit lang die private Reitschule Seegers in Berlin Moabit, bis er sich allerdings 1834 dazu entschloss, ein eigenes Institut in der Nähe von Magdeburg zu eröffnen, in dem er Pferde sehr erfolgreich bis zur hohen Schule ausbildete. Viele dieser Pferde verkaufte er an Zirkusreiter, denn Steinbrecht beschäftigte sich wie Baucher und James Fillis ebenfalls mit der Zirkusreiterei. Seine sehr gut ausgebildeten Pferde verschafften ihm schnell einen guten Ruf und eine gewisse Berühmtheit. 1884 erschien kurz vor seinem Tot erstmalig das Buch “Das Gymnasium des Pferdes“.
Die wenigsten wissen übrigens, dass es nicht Steinbrecht selbst war, dem wir dieses Werk zu verdanken haben, sondern seinem Schüler Paul Plinzner. Dieser trug die Aufzeichnungen Steinbrechts zusammen und ermöglichte erst eine Veröffentlichung als Buch, dem auch der berühmte eingangs bereits erwähnte Satz “Reite dein Pferd vorwärts und richte es gerade ” entstammt. Dieser Satz prägte die nachfolgende Reitgeschichte so sehr, dass sogar der bekannte ehemalige Leiter der spanischen Hofreitschule in Wien diesen Satz zu einem Leitmotiv der Hofreitschule machte. Leider kennen nur die wenigsten “Nutzer” dieses Satzes das Buch komplett, denn sie erlauben sich den Ausspruch Steinbrechts als Freifahrtsschein für gnadenlos lange und übereilte “Ganze-Bahn-Reiterei”, wie man sie heute zuhauf in deutschen und auch internationalen Reitschulen sieht. Liest man nämlich weiter, so geht es Steinbrecht keineswegs um Schnelligkeit und lange Ritte auf gerader Bahn.
Unter dem Vorwärtstreiben verstehe ich nicht ein Vorwärtstreiben des Pferdes in möglichst eiligen und gestreckten Gangarten, sondern vielmehr die Sorge des Reiters, bei allen Übungen die Schubkraft der Hinterhand in Tätigkeit zu erhalten, dergestalt, daß nicht nur bei den Lektionen auf der Stelle, sondern sogar bei Rückwärtsbewegungen das Vorwärts, nämlich das Bestreben, die Last vorwärts zu bewegen, in Wirksamkeit bleibt. Ferner verstehe ich unter der geraden Richtung des Pferdes nicht seine völlig ungebogene auf die abzuschreitenden Linien, sondern daß es unter allen Umständen, selbst bei stärkster Biegung seines Körpers und in den Lektionen auf zwei Hufschlägen, mit seinen Vorderfüßen den Hinterfüßen vorschreitet, die ihrerseits wiederum jenen unbedingt folgen.
Gustav Steinbrecht gegen Francois Baucher
Während Steinbrechts Lehrer Louis Seeger allerdings sehr am Herzen lag sich über Baucher zu beschweren und keine Chance ausließ sich über den französischen Reitmeister Francois Baucher dies auch zu tun, war Steinbrecht teilweise viel näher an Baucher, als man es auf den ersten Blick vermuten würde.
Der große Nuno Oliveria sagte sogar einst über Steinbrecht, dass Steinbrecht sei, wie Baucher – nur von der anderen Seite des Rheins. Während der Reiter Steinbrecht ein klarer Anhänger der klassischen Reitkunst war, so bescherte er der deutschen Reiterei aber auch die Grundlagen für die heutige “Bibel” der Reitlehrer – den “Richtlinien für Reiten und Fahren“. Diese gehen zurück auf die Heeresdienstvorschrift Nr. 12, in denen Steinbrechts Werk zur Ausbildung von Kavalleristen eingeflossen ist. Ziel war es innerhalb kürzester Zeit reitunerfahrenen Soldaten den Ausritt in den Krieg, zu ermöglichen. Das System, in dem vor allem auch das “Leichttraben” einen elementaren Stellenwert einnahm, funktionierte so gut, dass es noch heute in sehr abgewandelter Form die Grundlage für die Ausbildung von Reitern in Deutschland bildet. Das Leichttraben war übrigens deshalb ein elementarer Bestandteil – weil es den Leuten, die nicht Reiten konnten, ermöglichte trotzdem innerhalb kürzester Zeit sich auch über weitere Strecken hinweg im Sattel zu halten – mit Reitkunst hatte das, wie heute auch, wenig zu tun – es war ein Mittel zu einem ganz anderen Zweck.
“Durch den langen, intimen Umgang mit seinem Meister wird das Pferd
(Gustav Steinbrecht, 1884)
unendlich intelligent und aufgeweckt; da es so viel zu lernen hat und
fortdauernd angehalten wird, den leisesten Wink des Reiters zu
beachten, werden seine Geistigen Kräfte mit denen des Körpers
gleichmäßig geübt, so dass es in dem Grade anhänglich und zutraulich
zu seinem Herrn wird, als es an Fertigkeit in seinen Schulen zunimmt,
die es, wenn die Ausbildung vollendet ist, mit einer Art von freudigem
und stolzen Selbstbewusstsein ausführt.”
“Die Führung des Pferdes mit der linken Hand allein setzt aber ein
(Gustav Steinbrecht, 1884)
vollkommen durchgearbeitetes Pferd voraus, das der Kandare allein
Folge zu leisten vermag. Da die alten Meister Zeit und Mittel zu so
gründlicher Arbeit hatten, kannten sie als Zäumung des gerittenen
Pferdes nur die Kandare mit ihren beiden Zügeln, die sie mit den
kleinen Fingern teilten. Zur vorbereiteten Bearbeitung des rohen Pferdes
bedienten sie sich des Kappzaumes. Wir Heutigen haben dadurch, daß
wir unserm Kandarenzaum ein für allemal die Unterlegtrense mit ihren
beiden Zügeln beifügten, von vorneherein eingestanden, daß wir unsere
Pferde nicht in solcher Vollendung ausbilden wollen oder können, um
sie mit den Kandarenzügeln in der linken Hand allein unter allen
Umstanden beherrschen zu können.”
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