Grundsätze des feinen Reitens – Vom Trennen der Hilfen

Hand ohne Beine – Beine ohne Hand

“Das Ideal ist ein Pferd, das so ausgebildet ist, daß in allen Bewegungen Harmonie und Perfektion zwischen Reiter und Pferd herrschen, sodass sie zu einer Einheit verschmelzen.” 

(Richard Wätjen)

Viele Reiter versuchen sich beim Reiten möglichst dem gesamten, sogenannten „Orchester der Hilfen“ zu bedienen. Nicht selten wird versucht die jeweilige Hilfe sehr deutlich und unterstützt von anderen Hilfen zu geben, um das Pferd zu veranlassen dies oder jenes auszuführen.

Leider entsteht aus dieser Vorgehensweise ein „Stimmengewirr“, aus dem sich für das Pferd nur schwer die einzelnen Teile der Anweisungen herausfiltern lassen. In der Regel sind diese Anweisungen des Reiters für das Pferd daher missverständlich und aus Missverständnissen entsteht oft Gegenwehr und damit Verspannungen, welche feines Reiten unmöglich machen.

Daher sollte der Reiter dem Pferd seine Botschaften (Hilfen) und Anfragen möglichst dosiert und deutlich entgegenbringen. 

Die Philosophie der Légèreté ist es, sämtliche Hilfen voneinander zu trennen. Die verschiedenen Hilfen von Händen und Beinen werden niemals gleichzeitig gegeben. 

Jean-Claude Racinet bezeichnet den Grundsatz von „main sans jambes“ – zum Deutschen als „Hand ohne Beine, Beine ohne Hand bezeichnet – als Kernstück der späten Lehre von François Baucher (auch als 2. Manier bezeichnet).

„Baucher leitet die Richtigkeit seines Prinzips „Hand ohne Beine, Beine ohne Hand“ davon ab, dass es bei gleichzeitigem Einsatz der Hand und der Schenkel möglich ist, dass der Reiter, ohne sich dessen bewusst zu werden, Fehler oder Übertreibungen der einen Hilfen durch die anderen übertüncht und verschleiert.

…Setzt der Reiter hingegen Hand und Schenkel separat ein, dann lernt er seine Handlungen zu dosieren, er wird fein und geschickt. Das Pferd seinerseits wird, da es ja mit feinen Hilfen beeinflusst wird, immer aufmerksamer.“

(Jean-Claude Rainet „Feines Reiten“ Seite 30)

Hier muss der Reiter nun umdenken: Entweder gibt man Hilfen mit den Beinen oder Hilfen mit den Händen. Niemals aber werden Beinhilfen und Hilfen mit den Händen gleichzeitig gegeben.“

In der Folge dieser Verfahrensweise werden die Hilfen für das Pferd unmissverständlich und klar übergeben. Der Reiter kann so wesentlich besser überprüfen, ob die gewünschte Reaktion auf die Hilfe beim Pferd hervorgerufen worden ist. Vor allem gestresste Reiter und Pferd-Paare profitieren von der einkehrenden Ruhe, denn oftmals entsteht aus dem angestrebten »Orchester der Hilfen« eine Ansammlung von sich widersprechenden Hilfen (Treiben und Gegenhalten), die nicht selten in Stress bei beiden Beteiligten münden. Aus diesem Stress ergeben sich wiederum Verspannungen und Abwehrreaktionen.

Hand ohne Beine

Als ein 1. Resultat aus der Philosophie vom „Trennen der Hilfen“ werden die Hilfen der Hand stets isoliert von den Schenkelhilfen gegeben. Es entsteht das Prinzip „Hand ohne Beine“.

Es gilt an dieser Stelle auch noch einmal festzuhalten, dass dem Pferd die Bedeutung der Schenkelhilfen erst eindeutig beigebracht werden muss (siehe Die „Kultivierung“ der Schenkelhilfen Seite 94 – nicht Teil dieses eBooks, sondern Kapitel des in Kürze erscheinenden Gesamtprojekt). Die von uns gewünschte Reaktion des Pferdes ist kein natürlicher Reflex des Pferdes. Es handelt sich um eine rein konditionierte Hilfe.

Fazit fürs Reiten: 

Stets kontrollieren ob Hilfen der Hand unabhängig von Beinhilfen gegeben werden.

Lass Dir von außen helfen und „Ansagen“ sobald Du simultane Hilfen einsetzt.

Um keine gegensätzlichen Anweisungen ans Pferd zu geben, ist es enorm wichtig, während einer Schenkelhilfe jegliche Einwirkung mit der Hand zu unterlassen.

Beine ohne Hand

Eine weitere Konsequenz aus dem „Trennen der Hilfen“ und dem Prinzip „Hand ohne Bein“ ist das Isolieren der Beinhilfen, so dass das Prinzip „Beine ohne Hand“ entsteht.

„… so muss man allerdings schließen, dass ein gleichzeitiges Einwirken mit den Händen und den Schenkeln daher die Nachteiligen Auswirkungen… in sich verbinden würde, d.h. man durch ein solches Reiten ein Verhalten schüfe, das beschrieben werden muss als das eines Pferdes, das sowohl nicht auf die Hilfen der Schenkel reagiert, als auch psychologisch nicht ausgeglichen ist, kurz, ein gleichzeitig abgestumpftes und neurotisch befangenes, ein gleichzeitig körperlich unempfindliches und geistig stumpfes Pferd.“

(Jean-Claude Racinet „Feines Reiten“ Seite 34) 

Fazit fürs Reiten:

Überprüfe immer, ob Du die Beinhilfen auch wirklich isoliert von Handhilfen gibst. Vermeide auch beim Anhalten oder Versammeln das übliche „Gegenhalten“ mit der Hand. Gerade in der Anfangsphase des „Umdenkens“ solltest Du Dir wenn möglich von außen helfen lassen. Zu leicht verfällt man in alte Bewegungsmuster.