Die Biomechanik welche sich der Körper des Pferdes im Schritts bedient ist ein wahres Energiesparwunder.
Ein Team von Wissenschaftlern der HU Berlin hat 2016 mittels Filmaufnahmen und Computerberechnungen den Schritt des Pferdes genau analysiert. (Link zur Studie)
Durch die Nickbewegungen sparen Pferde bis zu 63 Prozent Energie
Sie kamen zu der Schlussfolgerung, dass alleine durch das richtige Timing des Schritts, das Pferd dazu in der Lage ist, bis zu 63% Energie weniger Energie verbrauchen zu müssen als nötig.
Das Bewegungsmuster des Schritts ist dadurch gekennzeichnet, dass der Kopf den höchsten Punkt erreicht, wenn das Pferd beide Vorderhufe auf dem Boden hat. Am niedrigsten Punkt ist der Kopf wiederum in dem Moment, an dem das Pferd mit einem Vorderbein abfusst und es nach vorne bewegt.
Während des Auffussens der Beine produzieren und speichern die Sehnen, Bänder und Faszien Energie. Diese Energie wird beim Abfussen wieder freigesetzt um die Vorhand anzuheben und den Energiefluss der Hinterbeine, welche über die Wirbelsäule nach vorne weitergegeben wird, aufnehmen zu können.
Ist der Körper des Pferdes im idealen Bewegungsmuster unterwegs, wird diese Energie in „Aufwärts“ wirkende Kräfte umgewandelt und hebt so ebenfalls die Halsbasis an. Ein Teil der Energie fließt nun auch in die Halsstrukturen.
Die Konstruktion von Nackenrückenband und Nackenplatte spart Energie
Die Nackenrückenbandkonstruktion mit der Nackenplatte ist als eine Art Lastenkran konstruiert. Durch Speicherung von Energie kann das Pferd Kopf und Hals nahezu ohne Muskelkraft tragen. Alleine der Kopf wiegt immerhin um die 30 (!) kg dazu kommt das Gewicht der Halswirbelsäule mit dem dazugehörigen nicht zu verachtenden Gewicht der Muskeln. Die Nackenplatte, mit ihrer “Anbringung” an insgesamt 6 der 7 Halswirbel, ermöglicht diese kraftsparende Aufhängung des Kopfes und der Halswirbelsäule. Kopf und Hals des Pferdes nehmen übrigens bereits etwa ein Drittel des Körpergewichtes ein und sind damit verhältnismäßig schwer.
Anhand der Filmaufnahmen konnten die Wissenschaftler den Gang der Tiere analysieren.
Ferner rechneten sie alternative Bewegungsabläufe am Computer durch. Würden die Tiere in einer anderen zeitlichen Abfolge mit dem Kopf nicken, bräuchten sie bis zu 63 Prozent mehr Energie, um Kopf und Hals zu tragen.
Die zeigt allerdings auch deutlich wie wichtig ein ungezwungener und taktreiner Schritt für das Pferd ist.
Wie wichtig ein taktreiner Schritt ist
Bewegunsmuster sind im Körperschema des Pferdes verstandene „abgespeicherte“ und schnell abrufbare Automatismen.
Diese können gut – aber auch schlecht bzw. gesund oder ungesund sein.
Jegliche Fehlstellungen und gestörte Bewegungsmuster belasten die Energieeffizienz des Pferdes schlimmstenfalls enorm.
Beispiele für Anzeichen solcher gestörten Bewegungsmuster:
- schlechte und brüchige Hufe
- ungleiche Hufe an Vorderbeinen
- ungleiche Hufe an Hinterbeinen
- und / oder stark nach unten verbreiterte Hufe
- Senkrücken und höhere Kruppe (Pferd ist überbaut)
- Kissingspines als Folgeerkrankung
- Axthieb
- schlecht ausgeprägte Oberlinie
- schlecht bemuskelter Hals
- Pferd läuft auf der Vorhand
- Pferd tritt vermehrt nach hinten raus (schiebt)
- Pferd ist ungleich bemuskelt (z.B. eine Schulter mehr als die andere)
- Pferd lässt sich nicht stellen oder schlägt mit dem Kopf
- Headshaking
- Pferd läuft vermehrt über Tempo bei tiefer Kopf-Halshaltung
- Pferd verwirft sich und kommt mit der Nase hinter die Senkrechte
- Pferd drückt den Unterhals raus
- Pferd reißt den Kopf und drückt den Rücken weg
- Pferd steht mit den Vorderbeinen “rückständig”
- Pferd zeigt Abwehrreaktionen (Kopfschlagen, Buckeln, Verwerfen, Durchgehen, Steigen etc.)
- und natürlich gibt es viele weitere Problematiken die auf ungesunde Bewegungsmuster hinweisen können.
Viele Gebäudemängel und Fehlstellung von Gliedmaßen bei älteren Pferden (über 7 Jahre) sind nicht selten erst durch Haltungs- und Trainingsmethoden entstanden.
Gestörte Bewegungsmuster belasten die Energieeffizienz des Pferdes
In gesunden und guten Bewegungsmustern sind vor allem die Faszien die Kommunikationsschnittstellen zwischen Gehirn und Muskeln. Ein sehr hoher Anteil der offenen Nervenenden liegen in den Faszien. Die Muskeln werden in niedrigen Geschwindigkeiten üblicherweise eher „nivelierend“ eingesetzt und wenig belastet. Daher ändert ein Pferd mit zunehmender Geschwindigkeit auch die Gangart, von Schritt ind Trab oder von Trab in den Galopp.
Sind die Bewegungsmuster aber gestört, dann müssen Muskeln auch in niedrigen Geschwindigkeiten für Fortbewegung des Körpers sorgen, ihn vor Schmerz bewahren (Schonhaltungen) oder vor Überbelastung und Verletzungen schützen. Dies führt zu schnellerer Ermüdung, höherem Energiebedarf und -Verbrauch und schneller zu weiteren Verspannungen und entsprechenden Folgeerscheinungen.
siehe auch -> Das Anheben und Absinken des Widerrists und seine Bedeutung für die Reiterei
Das bedeutet auch – stört die Reiterhand durch Festhalten oder gar „Festsetzen“ dieser Bewegungsfreiheit den Kopf und Hals des Pferdes – dann müssen die Muskeln die Arbeit „gegen“ die Hand übernehmen.
Wir alle kennen auch den Ausspruch „Druck erzeugt Gegendruck“ – dieser hat auch für die Kopf-Hals-Achse Anspruch auf Richtigkeit.
Die wichtige Schulung der Zügel für Pferd und Reiter
Die Einflussnahme auf Maul, Kopf und Hals des Pferdes sollte daher immer durch Impulse geschehen, niemals dauerhaft und auch nicht wiederholend erfolgen. Das Ergebnis einer korrekten „Zügelschulung“ von Pferd (und Reiter) muss eine „autonom-beeinflussbare Halswirbelsäule“ sein, was so viel heisst, dass ich als Reiter dem Pferd per Hilfengebung zwar eine Idee zur Veränderung der Position oder Richtung geben darf – die Bewegung letztendlich aber immer und ausschließlich vom Pferd selbst übernommen werden muss.
Eine rückwirkende Zügelhand beeinflusst die Kopf-Halsachse nahezu immer dazu den Übergang von Halswirbelsäule und Brustwirbelsäule (Halsbasis) tiefer zu kommen. Die Facettengelenke bekommen hier Druck – eine Entlastung kann dann aber nur durch tiefer nehmen der Kopfhalsachse erfolgen. Ein Teufelskreis entsteht – denn durch diese tiefere Einstellung kann die Vorhand schlechter arbeiten und das Pferd kommt vermehrt auf die Vorhand.
Das inflationäre zu schnelle Reiten bei zu tiefer Kopf-Halshaltung (Nase unter Buggelenk, Genick unter Widerristhöhe) führt sehr schnell zu gestörten Verhältnissen von Brems- und Schubkräften der Vor- und Hinterhand und damit zu gestörten Bewegungsmustern.
Ein aktives durch Zügeleinwirkung “höheres” Einstellen der Kopf-Halsachse ist selbstredend nicht besser.
Um aber korrekte Bewungsmuster ausführen zu können, muss die Hinterhand Bewegungsenergie erzeugen und über Lenden und Brustwirbelsäule nach vorn weitergeben, wo eine durch eigene produzierte elastische Energie „aufrichtbare“ Vorhand diese aufnehmen und weiterführen kann.
Gestörte Bewegungsmuster und Haltungsmuster bleiben aber auch nach dem Absteigen vorhanden und beeinflussen das Pferd nachhaltig.
Viele Reiter sind sich über die Haltungs- und Bewegungsmuster (und deren Ursachen) oft gar nicht bewusst.
Lahmheiten führen zur Veränderung von Bewegungsmustern
Aber auch Verletzungen und Lahmheiten führen relativ schnell zu Problemen in Bewegungsmustern.
Wir Therapeuten sagen auch “Die Lahmheit ist der Feind der Lahmheit” – was so viel heißt, dass ein Pferd dass lahmt in Folge der Lahmheit sich nicht korrekt bewegt und daher auch nicht schnell bzw. gar nicht gesundet.
Das Pferd lebt im “Hier und Jetzt” und akzeptiert mit der Zeit die Lahmheit, Schonhaltungen und andere Begleiterscheinungen. Zur Schmerzvermeidung wird dann ein neues Bewegungsmuster “programmiert”, akzeptiert und eingespeichert. Taktunreineiten bauen dann nach und nach dem Körper um.
Was kann man tun, wenn Pferde schlechte und gestörte Haltungsmuster und Bewegungsmuster aufweisen?
Pferden, bei denen die Haltungs- und Bewegungsmuster bereits gestört sind, müssen behutsam durch neue Bewegungsideen wieder in korrekte Bewegungsmuster geführt werden, diese müssen verstanden und gefestigt, anschließend trainiert werden.
Es gilt in einer vollständigen Analyse (360° Körper des Pferdes, Muskeln, Faszien, Hufe, Equipment etc.) das Pferd im Stand und in der Bewegung zu begutachten. Gegebenenfalls muss Reiter und Pferd auch gemeinsam in der Bewegung angesehen werden und geschaut werden, wie und warum sich eventuell durch falsche Trainingsideen Bewegungsmuster ergeben haben.
Anschliessend muss ggf. das Pferd behandelt werden, um Bewegungspotential wieder herzustellen und gesunde Bewegung überhaupt zu ermöglichen. Dies ist “ein Tor” zu einem Weg zu besserer und gesunder Bewegung. Auf diesem Weg gilt es nun neue auf das Pferd und Reiter abgestimmte Bewegungsideen zuerst zu bekommen, dann zu verstehen und nach Verständnis zu trainieren und zu festigen. Erst wenn diese Festigung entstanden ist kann sich ein neues gesundes Bewegungsmuster entwickeln.
Quellen:
Timing of head movements is consistent with energy minimization in walking ungulates
David M. Loscher, Fiete Meyer, Kerstin Kracht and John A. Nyakatura
Published:30 November 2016
https://royalsocietypublishing.org/doi/full/10.1098/rspb.2016.1908
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