Fühlen lernen – eine Grundvoraussetzung für das Reiten

Im Zusammenhang mit korrekter Reiterei wird immer wieder davon gesprochen, dass der Reiter “Fühlen” lernen muss. Aber was soll er eigentlich fühlen und wie kommt man dazu zu fühlen was richtig und was falsch ist ?

Bilder im Kopf

Für mich ist das Erlernen von richtigen Bildern im Kopf und Körper des Reiters die Grundvoraussetzung für korrektes Reiten (lernen) und damit gesundes Bewegen des Pferdes unter dem Sattel. Der Reiter muss in all seinen Körperteilen ein Gedächtnis bilden für richtige Bewegung. Sobald er merkt, dass die Bewegung nicht zu dem im Gedächtnis abgespeicherten Bild passt, besteht Handlungsbedarf.

Zunächst einmal muss man allerdings festhalten, dass man eigentlich nicht davon sprechen kann, dass jemand “nicht fühlt” oder “kein Gefühl” hat. Das Fühlen selbst kann man ja nicht abstellen – man fühlt immer und ständig – der Reiter, vor allem der Reitanfänger steht jedoch des öfteren im eigenen Körper vor der Frage:

Ist das was ich fühle richtig?

Was soll ich fühlen – und wie soll sich das anfühlen wenn es korrekt ist? Der unerfahrene Reiter hat selbstverständlich kein Bild davon im Kopf, bzw. im Körper, wie sich richtige Bewegung anfühlt.

Die “inneren” Bilder der meisten Reiter (und leider auch Ausbilder und Richter) orientieren sich leider zu sehr an den “gewohnten Bildern” in der Reitbahn – korrekt ist nicht unbedingt das was die meisten machen – sondern was die Natur des Pferdes vorgibt und zur Gesunderhaltung des Pferdes beiträgt.

Ein Rückblick in die Geschichte der Reiterei

Leider muss man zugeben ist der Ablauf, wie man heutzutage korrektes Reiten lernen soll ein wenig durcheinander geraten. Während die alten Meister den unerfahrenen Reiter auf ein erfahrenes und hochausgebildetes Pferd in der Piaffe gesetzt haben (der Reiter lernte zuerst ein richtiges Gefühl abzuspeichern) – lernt man heute meist auf einem schlecht ausgebildeten Pferd “hoppeln”… (man bekommt also zuerst ein falsches Bild vom Reiten ohne ein richtiges zu kennen und schlimmsten falls sogar ohne gesagt zu bekommen dass das Bild falsch ist). Mal ehrlich – wer hat sich nicht nach seiner ersten “Longensitz-Zentrifuge” gefragt – > Das soll Reiten sein?… das soll Spaß machen? Denn sehr oft geriet die erste Erfahrung im Sattel zu einem sehr anstrengenden Sportereignis, der den Körper des Neu-Reiters vor fast unmögliche Kooperations-Schwierigkeiten stellte, sich mit den Bewegungen des meist schlecht laufenden Pferdes (mit meist festem Rücken) in Einklag zu bringen. Die Vorgehensweise der alten Meister war es also:

  1. Fühlen lernen (ohne Reiten zu können)
  2. Gefühl festigen (die Reiter wurden so lange in der Piaffe geschult bis sie ein klares Bild von Harmonie im Sattel hatten)
  3. Reiten lernen (erst nach dem sie ein Bild im Kopf und im Körper hatten wurden sie in die Schulung in der Bewegung entlassen)

Bis heute hat sich eigentlich auch folgende Formel erhalten:

Unerfahrener Reiter auf erfahrenes Pferd und erfahrener Reiter auf unerfahrenes Pferd.

Die Frage darf aber mehr als berechtigt gestellt werden: Werden wir diesem Anspruch heute noch gerecht? Wer sich kritisch umschaut und eventuell sogar seine eigene Reitkarriere in der Retrospektive betrachtet wird feststellen, dass das Pferd wohl meist eher von hinten aufgezäumt wird. Die unerfahrenen Reiter hoppeln auf unerfahrenen Pferden umher und den sogenannten erfahrenen Reitern die viel zu junge Pferde “einreiten”, muss man wohl die Erfahrung (oder zumindest ihr Gefühl für Ehre und Ethik) absprechen, da sehr oft genau durch diese Handlungsweise der “Ausschuss” produziert wird, dem dann später durch unerfahrene oder schlecht ausgebildete Freizeitreiter mit großem Herz wieder versucht wird eine Perspektive zu bieten. Doch zurück zum Gefühl –

In früheren Zeiten erlernten die Reiter zunächst auf einem weit ausgebildeten Schulpferd das Gefühl für das richtige und korrekte Bewegungsmuster eines sich gut bewegenden Pferdes.

Es geht ums richtige Feedback

Beim Erlenen des korrekten (Bewerten des) Fühlens geht um Feedback:

  1.  Feedback vom Ausbilder: Ein guter Reitlehrer darf nicht aus der Ferne unterrichten, sondern er muss, vor dem inneren Auge, auch selbst mitreiten können. Er muss die nötige Essenz Empathie mitbringen um die Bewegungen des Pferdes und des Reiters in sich aufnehmen zu können um sie zu werten und das korrekte Feedback an den Reiter geben zu können. Er muss also das Signal geben wann die Bewegung korrekt aussieht und das Gefühl abgespeichert werden soll, genau so muss er das Signal geben wann die Bewegung nicht korrekt ist, denn auch das Gefühl für die korrekte Bewegung ist wichtig. Je unerfahrener der Reiter um so wichtig ist es, dass die Erfahrung des korrekten Gefühls im Unterricht überwiegt, bzw. dass es immer mindestens ein gutes Gefühl gibt, was man als Highlight in sein Gedächtnis einbrennen kann.
  2. Feedback vom Pferd: Ist das was ich mache richtig? Ist die Bewegung flüssig? ist sie harmonisch oder holprig und unbequem? Hier ist es jedoch wichtig, dass der Ausbildungsstand des Pferdes dem des Reiters entspricht. Auf einem im Maul und am Bein abgestumpften Pferd mit festem Rücken wird es dem nicht so routinierten Reiter unmöglich sein gefühlvoll dosierte Hilfen zu lernen und positives Feedbakc selbst bei eigentlich richtigen Hilfen zu erlernen, bzw. zu erfühlen. (Vorsicht: allerdings können auch äussere Einflüsse oder physische Konstitution das Bild trüben – auch dafür muss der Reiter, bzw. der Ausbilder sensitiv werden und unterscheiden können – ist eine Hilfe falsch angekommen oder gibts andere Faktoren)
  3. Feedback vom eigenen Körper: ich glaube auch hier liegt ein großes Problem… in kaum einer Sportart (wenn wir das Reiten denn SPORT nennen wollen) kann man so viele  Personen antreffen deren Fitness zur Ausübung der Leibesübung ausreichend ist. Nur wer mit seinem eigenen Körper in Einklang ist, der kann auch das gefühlte in seinem eigenen Körper richtig werten und unterscheiden – liegt es an mir oder am Pferd, oder am Ausbilder?

Erst wenn ich es schaffe die Feedbacks zu werten und zu erfühlen – die Gefühle anzunehmen – dann kann ich ANFANGEN Reiten zu lernen und Hilfen zu geben. Warum müssen wir es heute eigentlich anders herum versuchen? Theoretisch kann man den vielen schlechten Reitern auf schlechten Pferden, mit schlechten Ausbildern keinen Vorwurf machen – sie merken evtl. nicht mal dass etwas falsch ist, bzw. dass das was sie fühlen nicht korrektem Reiten mit gesunder Bewegung zu tun hat.

Das persönliche Ego des Reiters

Und sehr vielen von uns steht dann noch das EGO im Weg. Wer gibt schon gerne zu dass er Fehler gemacht hat. Man muss sich selbst fragen können: lasse ich überhaupt zu – etwas FALSCHES zu fühlen ? Sehr oft wird man allerdings als Antwort geben: War nicht das Pferd schuld? Und wenn man sich lange genug vorgaukelt, dass es der arg so ausgeprägte “Schwung” des Pferdes das Hoppeln verursacht und nicht der feste Rücken und der nicht passende Sattel das Problem sind, ja dann glaubt man es irgendwann sogar. Wer aber über seinen eigenen Schatten springen kann und eventuell sogar einen Neuanfang wagt, bei sich und bei seinem Pferd – der hat die (verpasste) Chance zu einem einfühlsamen Reiter zu werden.

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