Rumpfheber beim Pferd – Funktion, Anatomie und Bedeutung für den Schultergürtel

Eine der zentralen anatomischen Besonderheiten des Pferdes und zugleich ein wesentlicher Unterschied zum Menschen ist das Fehlen des Schlüsselbeins. Der Brustkorb des Pferdes ist zwischen den Schulterblättern ausschließlich über Muskulatur und Bindegewebe im sogenannten Schultergürtel (auch thorakele Muskelschlinge) aufgehängt.

Diese Konstruktion ist von bemerkenswerter Raffinesse: Sie wirkt zugleich als Stoßdämpfer und als „Lift“ für die Vorhand. In der Bewegung – insbesondere im Trab, Galopp und beim Springen – werden dadurch Sehnen und Bänder der Vordergliedmaßen wirkungsvoll entlastet und auch das Gehirn und Organe des Pferdes geschützt.

Gleichzeitig ermöglicht dieses System der Wirbelsäule im Schulterbereich ein dynamisches Heben und Senken. Das Schulterblatt kann entlang des Brustkorbs nach vorne und nach hinten rotieren sowie gleitend auf- und abwärts bewegt werden.

Erst durch das aktive Anheben des Brustkorbs wird eine effiziente Vorwärtsbewegung möglich – ein entscheidender Faktor für eine korrekte Aufrichtung.

Denn 60% Des Fortbewegungsumsatzes wird durch die Vorhand erzeugt. Obwohl wir Reiter immer gern vom Motor “der Hinterhand” sprechen, ist es der effiziente Vorhandprozess der die PS des Motors wirklich auf die Strasse bringt – um im Bildnis des Autos zu bleiben.

Das Reitergewicht, sowie falsche Haltungs- und Trainingsansätze beeinträchtigen diese Effizienz enorm.

Das Problem durch das Aufsteigen des Reiters aufs Pferd ist daher nicht nur das Gewicht, und die Belastung von Muskeln und Sehnen, sondern vor allem der schwerwiegende Eingriff in die Effizienz der Körperfunktionen des Pferdes.

Zum einen reagiert die Psyche eines “Fluchttieres” verständlicherweise entsprechend auf diesen Umstand – “Ich kann nicht effizient wegrennen”.

Zum anderen reagiert der Pferdekörper auf Haltuns- und Trainingsreize enorm schnell und passt seinen Körper entsprechend an, um sich vor vermehrter Belastung zu schützen. Arthtrose, Spat, Kissing Spines, Muskelverhärtungen, Schmerzvermeidungsmuster etc. finden hier ihren Ursprung.

Unser erstes Ziel für gesunde Pferdebewegung muss es also sein das Pferd wieder zu einer grundlegenden Bewegungseffizienz zu bringen. Dazu gehört massgeblich die Rumpfträger, die unter dem Gleichgewicht “leiden” bzw. nicht wie vorgesehen arbeiten können zu trainieren.

Die wichtigsten Rumpfheber

Zur thorakalen Msukelschlinge gehören folgende Muskeln:

  • Der M. Serratus cervicis
  • Der M. serratur thoracis
  • Der M. Subclavius
  • Der M. Subscapularis
  • Die Pectoralis-Muskulatur

Zu den zentralen Rumpfhebern zählen mehrere Muskelgruppen, die den Brustkorb tragen und aktiv anheben:

  • M. serratus ventralis – der wichtigste Muskel in diesem System; er trägt den Rumpf wie eine Hängematte.
  • M. pectoralis ascendens – der tiefe Brustmuskel, der den Rumpf nach oben zieht und stabilisiert.
  • M. trapezius und M. rhomboideus – unterstützen die Aufhängung, indem sie Schulterblatt und Brustkorb fixieren und anheben.

Das Zusammenspiel dieser Muskeln ermöglicht es, den Brustkorb elastisch zu lagern und gleichzeitig Beweglichkeit im Schulterbereich zu gewährleisten.

Funktion in der Bewegung

Die Rumpfheber stabilisieren den Rumpf zwischen den Vordergliedmaßen und wirken wie ein muskuläres Stoßdämpfersystem. Sie tragen entscheidend zur Entlastung der Vorhand bei und erlauben eine freie Schulterbewegung. Ein korrekt arbeitender Schultergürtel ist damit eine wesentliche Voraussetzung für Balance, Versammlung und Tragkraft.

Die besondere Aufgabe des Musculus serratus

Dieser Muskel ist einer DER essentiellen Taktgeber des Pferdes und verantwortlich für die Qualitat des Bewegungsmusters und kann bei Störung zu erheblichen und nachhaltigen Problemen führen.

Präparationen zeigten, dass es in erster Linie die Bewegungen des Musculus serratus ventralis und seine Verbindungen zwischen dem Schulterblatt, den Halswirbeln und Rippen sind, die für die Übertragung der Vorwärts- und Rückwärtsbewegungen der Vordergliedmaßen auf Kopf und Hals verantwortlich waren. Dies deutet darauf hin, dass eine Beeinträchtigung der normalen Bewegung dieses Muskels Auswirkungen auf die Gesamtkontrolle und Reaktionsgeschwindigkeit bei Gleichgewichtsstörungen in den Vordergliedmaßen haben kann.

Solche Kontrollstörungen könnten die Kräfte auf die kaudalen Halswirbel, an denen der Muskel ansetzt erheblich verändern und auch Einfluss auf Knochenform und – qualität  haben.“

Probleme durch verspannte Rumpfheber

In der Praxis zeigt sich häufig, dass Pferde in diesem Bereich fest, verspannt und schmerzempfindlich sind. Ist die muskuläre Schlinge beeinträchtigt, sinkt der Brustkorb zwischen die Vorderbeine ab. Das Pferd bewegt sich schwer auf der Vorhand, die Schulterfreiheit ist eingeschränkt, und die Bewegungen wirken insgesamt steif. Ein korrektes Anheben und Tragen des Brustkorbs ist in solchen Fällen nicht einmal ohne Reiterlast möglich. Langfristig führt dies zu einer Überlastung der Vordergliedmaßen und kann Gelenkprobleme oder Lahmheiten begünstigen.

Die Pferde haben dann eine zu lange Standbeinphase und führen ihre Vorderbeine weit und den Körper.

Wie bereits erwähnt passt sich der Pferdekörper auf Trainingsreize enorm schnell an – viele Pferde haben Haltungsprobleme und ungesunde Bewegungsmuster.

Unterstütz werden die Rumpfheber durch den sogenannten Katapulteffekt der myofaszialen Strukturen, vor allem der Faszien der unteren Gliedmaßen. Je stärker in einer Bewegung die Faszien eingesetzt werden, desto weniger Energie wird verbraucht, und desto höher ist die muskuläre Ausdauer.

Die meisten dynamischen Bewegungen beziehen ihre Kraft vor allem aus den Faszien und nicht nur aus den Muskeln.

Bei einem gesunden Pferd mit einem korrekten und natürlichen Bewegungsmuster wird die Energie der Hinterhand über das Iliosakralgelenk auf die Lendenwirbelsäule und Brustwirbelsäule weitergegeben. Diese Energie entsteht durch ein gute Abstimmung aus Brems- und Schubkräften. Die Rückenmuskulatur reicht die nach oben weitergeleitete Energie nach vorne weiter – dabei ist sie der Schwerkraft ausgesetzt.

Beim korrekten Bewegungsmuster wird durch die Rückmuskulatur eine Aufwärtsenergie erzeugt.

Die durch den zuvor besprochenen Vorhandprozess erzeugte Federenergie Energie wird im richtigen Moment freigesetzt und „hebt“ die Vorhand nahezu ohne jegliche Muskelkraft in einer Art Katapulteffekt an. Durch das Anheben des Brustkorbs im richtigen Moment „gleitet“ der Rest des Körpers regelrecht über die Vorhand nach vorne, getragen von elastischer Federenergie.

Fast 60% der Vorwärtsbewegung wird wie bereits erwähnt „beim gesunden Pferd“ nicht durch die Hinterhand, sondern durch diesen Vorhandprozess umgesetzt.

Nur so können dann auch die Rumpfheber korrekt arbeiten.

Anders verhält es sich, wenn das Pferd in seiner Bewegungseffizienz beeinträchtigt ist.

Gerät das Pferd in der Bewegung auf die Vorhand – z.B. bei zu hohem Tempo, überwiegender Schubkraft, zu tiefer Kopfhalsachse, zu hohes Reitergewicht etc. , dann kann der Katapulteffekt nicht genutzt werden – Das Pferd verweilt dann relativ lange auf den Vorderbeinen – der Schultergürtel muss dann gegen die Kräfte anarbeiten ohne den Brustkorb effektiv als Stoßdämpfer unterstützen zu können.

Was passiert bei zu tiefer Kophalsachse

Wird das Pferd “in Bewegung” aktiv in die Tiefe gebracht – bei der das Genick tiefer als der Widerrist kommt, dann zwingt der Nackenstrang den Brustkorb zwischen den Schultern in die Tiefe – Das können im Extremfall mit Reitergewicht bis zu 7 cm (!) werden. Das Pferd wird also kleiner – der Schultergürtel und die Arbeit des Musculus Serratus wird entsprechen eingeschränkt bis blockiert. Ist diese Phase nur wenige Sekunden lang, kann dies durchaus als Trainingseffekt genutzt werden – ähnlich wie bei Kniebeugen. Muss das Pferd in dieser unnatrülichen Haltung länger laufen – wird dies fatal – in dieser Haltung wird die entlastende Funktion der Nackenrückenplatte (Diese speichert Energie und ermöglicht dem Pferd das dauerhafte Tragen von Hals und Kopf ohne Energie und Anstrengung) aufgelöst und Muskelkraft (z.B. die des Halsanteils des Serratus und des M. Splenius) muss diese Aufgabe übernehmen.

Der Vergleich mit dem grasenden Pferd wird hier oft herangezogen – das Pferd grast aber nicht im schnellen Schritt oder Trab über mehrere Minuten.

In dieser Haltung kann der Rumpfheber nicht arbeiten und damit nicht trainiert werden. Die Arbeit der genannten Muskeln ist darüberhinaus isometrisch – eine statische vor allem Energie verbrauchende Muskelkraft die mitverantwortlich dafür ist, das trotz dauerndem Training die Oberlinie dieser Pferde im Bereich vor dem Widerrist nicht gut entwickelt (oft entsteht hier ein Axthieb).

Daher ist “korrektes Vorwärts-Abwärts” auch wichtig zu verstehen – die Haltung der “jungen Remonte” unter dem Ausbilder – war jene die aus einem “zu hohen Hals” eine Haltung mit der Nase in der Höhe des Buggelenks “einforderte” – aus dieser wurde dann die weitere Dressur des Pferdes entwickelt.

Diese Haltung ermöglicht ein korrekte Arbeiten der Rumpfheber!

Sind die Schultern und auch der Schultergürtel erst einmal verspannt, beeinträchtig, so muss das Pferd erst einmal wieder dazu gebracht werden in eine korrekte Haltung zu kommen und in einem individuellen Tempo zur natrülichen Effizienz zurückzufinden

Training und Förderung der Rumpfheber

Die Funktionsfähigkeit der Rumpfheber lässt sich durch gezieltes Training verbessern. Geeignete Maßnahmen sind unter anderem:

  • Individuell förderliches Tempo finden, in dem das Pferd gearbeitet werden kann (meist ist dies langsamer als man denkt)
  • Vermeidung übermässig langer Trainingseinheiten – Ausbildungsgerechte Dauer
  • Entwicklungsgerechter und Altersgerechter Trainingsstart des Pferdes (frühestens mit 3,5 – 4 Jahren sollte das Pferd mit Reitergewicht belastet werden)
  • Übergänge zwischen den Gangarten – z.B. Schritt Trab Übergänge
  • Arbeit über Cavaletti zur Aktivierung der Brustkorbmuskulatur (Achtung hierbei nutzt das Pferd zwar die Rumpfheber – es kommt aber oft zu schnellen unnatürlichen Bewegungen – die dem Reiten an sich nicht dienlich sind)
  • Bergauf-Reiten zur Kräftigung gegen die Schwerkraft
  • Seitengänge wie das Schulterherein zur Verbesserung von Balance und Mobilität
  • Erlernen des spanischen Schritts

Regelmäßige gymnastische Übungen unterstützen die Elastizität und Kraftentwicklung dieser Muskelgruppen und tragen wesentlich zur Gesunderhaltung des Pferdes bei.


Mehr Infos zur Anatomie und Biomechanik des Pferdes:

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