Ursachen, Symptome, Behandlung und Training von Pferden mit Kissing Spines
Kissing Spines, wird auch als „sich küssende Dornfortsätze“ übersetzt, ist leider eine durchaus häufige Erkrankung bei Pferden, die zu erheblichen Rückenproblemen und Schmerzen führen kann. Die Erkrankung (Kissing Spines Syndrom), bei der die Dornfortsätze (Spinous Processes) der Rückenwirbel zu eng zusammenstehen, sich sogar berühren (in extremen Fällen kommt es zu knöchernen Veränderungen bei der die Wirbel überkreuzen oder überlappen) kann erhebliche Auswirkungen auf die Gesundheit und Leistungsfähigkeit des Pferdes haben. Leider gibt es für das Kissing Spines Syndrom nur sehr wenige medizinische Lösungen. Ein frühes Erkennen der Problematik und eine Diagnose ist daher essenziell und kann helfen die Therapiemöglichkeiten zu erhöhen und dem Fortschreiten der Krankheit entgegenzuwirken. Gezieltes Training kann viele Pferde sogar in schmerzfreie Zustände bringen und durchaus auch weiterhin als Reitpferd nutzbar machen.

In diesem Artikel erfährst Du alles Wichtige über diese Erkrankung, von den Ursachen und Symptomen. Ferner erfährst Du, warum die Diagnose Kissing Spines absolut kein Todesurteil ist, welche Behandlungsmöglichkeiten und Trainingsansätze es gibt und dass Pferde mit Kissing Spines unter entsprechenden Voraussetzungen auch geritten werden können.
Was sind Kissing Spines?
Kissing Spines bezeichnet eine Erkrankung der Wirbelsäule, bei der die Dornfortsätze der Rückenwirbel zu eng beieinander liegen oder sich sogar berühren, überlappen, überkreuzen und schließlich sogar verwachsen (Sklerosierungen). Das Problem des Kissing Spines ist oft eine Kombination aus genetischer Anomalie und Schutz- bzw.- Schonhaltung.
Die Dornfortsätze der Rückenwirbel (Spinous Processes) liegen von Natur aus bereits sehr eng beieinander. Selbst bei gesunden Pferden können Knochenumformungen oder Engstände von Dornfortsätzen vorkommen. Viele dieser Pferde können durchaus Symptomfrei sein, daher ist der reine Röntgenbefund auch nicht direkt besorgniserregend. Ein Engstand der Wirbel kann allerdings durchaus ein prädisponierender Faktor für spätere Rückenprobleme sein und es kann dann mit der Zeit zu Schmerzen, Entzündungen und Bewegungseinschränkungen kommen.
Häufig treten Probleme im Bereich vom 12. bis zum 18. Brustwirbel zu Problemen, da der Abstand zwischen den Wirbeln dort besonders eng ist. Dies ist der Bereich, über dem der Reiter samt Sattel sitzt.
Betroffene Pferde nehmen zur Schmerzvermeidung eine Schutzhaltung ein, die ihnen kurzfristig zwar eine Schmerzlinderung verschafft, aber langfristig Probleme verursacht.
Wir sprechen hier von einer Ursachen-Folgekette: die Schmerzvermeidungs-Haltung bzw. -Bewegung führt zur Veränderung von Haltungs- und Bewegungsmustern -> Es kommt zu Fehlbelastungen, Kompensation und Veränderungen in der Muskulatur, Faszien, Sehnen, Bändern und Gelenken. Folgeerkrankungen wie Spat, Arthrose, Hufverformungen, Hufrollenentzündungen, Sehnenschäden etc. können sich aus der Ausgangssymptomatik Kissing Spine ergeben und umgekehrt.
Die Wirbelsäule des Pferdes
Wir können die Wirbelsäule des Pferdes in verschiedene Bereiche einteilen. Das Pferd hat wie fast alle Säugetiere insgesamt 7 Halswirbel – Die Halswirbelsäule ist, wie wir noch sehen werden, der beweglichste Teil des Pferdes.
Anschließend sehen wir die Brustwirbelsäule, mit ihren prägnanten hohen Dornfortsätzen und den ansetzenden Rippen inklusive Brustbein.
– Die Brustwirbelsäule umfasst insgesamt 18 Brustwirbeln und ist SEHR viel weniger biegsam als viele meinen.
Dahinter folgt die Lendenwirbelsäule mit üblicherweise 6 Lendenwirbeln (mit Ausnahme z.B. bei Arabern oder auch Berbern, die haben im Laufe der Zucht einen Wirbel eingebüßt)
Hinter der Lendenwirbelsäule folgt dann das Kreuzbein – dessen 5 Wirbel beim ausgewachsenen Pferd vollständig miteinander verwachsen sind. Dieser Prozess ist mit ca. 5 Jahren abgeschlossen.
Und zu guter Letzt haben wir dann noch die 15-21 einzelnen kleinen Schweifwirbel.
Ursachen – Warum kommt es zum Kissing Spines Syndrom?
Die Entwicklung von Kissing Spines bei Pferden ist leider immer noch nicht komplett erforscht. Die Gründe, warum ein Pferd Kissing Spines bekommt, sind wahrscheinlich multifaktoriell und es erfordert noch weiterer Studien. Derzeit geht man davon aus, dass Kissing Spines auf eine Kombination aus erblichen und nicht erblichen Risikofaktoren zurückzuführen ist.
Genetische Veranlagung: Einige Pferde haben eine angeborene Neigung zu Kissing Spines. Diese genetische Prädisposition bedeutet, dass die Dornfortsätze der Wirbel von Natur aus enger beieinander liegen, was das „theoretische“ Risiko für die Entwicklung dieser Erkrankung erhöht.
Fehlbelastung: Eine falsche Belastung des Rückens, beispielsweise durch unpassende Sättel oder schlechtes Reiten, kann die Entstehung von Kissing Spines begünstigen. Zu frühes und zu starkes Belasten der Pferde sowie extremes und zu langes Reiten sind wesentliche Einflussfaktoren für diese schmerzhafte Rückenerkrankung.
Trauma: Verletzungen der Wirbelsäule können ebenfalls zu dieser Erkrankung führen. Solche Traumata können durch Unfälle, Stürze oder andere physische Einwirkungen entstehen, die die Struktur der Wirbelsäule beeinträchtigen.
Alter: Ältere Pferde sind anfälliger für Kissing Spines. Mit zunehmendem Alter können degenerative Veränderungen an der Wirbelsäule auftreten, die das Risiko für die Entwicklung dieser Erkrankung erhöhen
Obwohl viele Pferde bereits von Natur aus eng stehende Wirbel haben und man auch an Wildpferden und an archäologischen Funden Kissing Spines feststellen kann, muss man sagen, dass die meisten „auffälligen“ und damit schmerzhaften Wirbelsäulenerkrankungen wohl durch falsches Reiten ausgelöst werden.
Zu frühes und zu starkes Belasten der Pferde und extremes und zu langes Reiten sind die Einflussfaktoren für die schmerzhaften Rückenerkrankungen.
Pferde werden heute leider viel zu früh zu stark belastet.
Die meisten Knochen weisen je nach Alter des Pferdes Wachstumsfugen, die sogenannten Epiphysenfugen, auf. In diesen Fugen findet das eigentliche Knochenwachstum statt und die Fugen verwachsen erst über die Jahre hinweg. Die Hüfte ist meist erst mit 3 bis 4 Jahren am Ende des Verwachsungsprozesses angekommen. Das Kreuzbein ist sogar erst ab einem Alter von 5 Jahren zusammengewachsen und damit voll belastungsfähig. Dazu muss man sagen, dass es wie beim Menschen auch Pferde gibt die absolute Spätentwickler sind. Nicht selten sehen wir Pferde deren Skelett eigentlich erst mit 7 Jahren voll einsatzfähig ist.
Erst die „falsche“ Nutzung der Pferde als Reitpferd lässt aus der knöchernen Veränderung ein schmerzhaftes Problem werden.
Hier liegt neben der Wurzel des Übels aber auch die Chance.
Albert Einstein formulierte so treffend “Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind.”
Das Umdenken und Anpassen von Reitweise, Trainingsmethoden, Trainingsdauer und -Intensität kann vielen Pferden den Weg aus der Sackgasse ebnen.
Um es klar auszudrücken – Kissing Spines ist nicht zwingend ein Problem, das ein Pferd auf ewig unreitbar macht oder gar ein Todesurteil.
Die genauen Ursachen von Kissing Spines sind noch nicht vollständig geklärt
Die genauen Ursachen von Kissing Spines sind noch nicht vollständig geklärt.Es wird jedoch angenommen, dass genetische Faktoren, falsches Training, Überbelastung und schlechte Sattelanpassung eine Rolle spielen können. Pferde mit einer langen Rückenpartie oder einer schlechten Muskulatur sind möglicherweise anfälliger für diese Erkrankung.
Zuchtideale spielen ebenfalls eine Rolle – so hat man herausgefunden, dass in der Warmblutpferdezucht jene Pferde, die eher einer Springpferdezucht entstammen weniger häufig auffällig sind, Pferde mit Dressurpferdezucht-Hintergrund hingegen häufiger.
Welche Symptome können auf Kissing Spines beim Pferd hinweisen?
Pferde mit Kissing Spines zeigen oft unspezifische Symptome, die von leichten Verhaltensänderungen bis hin zu schweren Bewegungseinschränkungen reichen können. Zu den häufigsten Symptomen gehören:
- Unwilligkeit, sich zu bewegen oder zu arbeiten
- Empfindlichkeit beim Putzen oder Satteln
- Steifheit oder Lahmheit
- Schwierigkeiten beim Biegen oder Versammeln
- Rückenschmerzen und -empfindlichkeit
- Verspannungen und Steifheit
- Schwierigkeiten beim Satteln und Reiten
- Zähneknirschen
- Verhaltensänderungen, z. B. Widersetzlichkeit oder Aggressivität
- Leistungsabfall
- Taktfehler
- Lahmheiten
- Inaktive oder „schleppende“ Hinterhandaktivität
- Unwilligkeit und Empfindlichkeit beim Putzen des Rückens (Plötzliches Schnappen und Drohen)
- Galopp-Probleme (Kreuzgalopp, Umspringen im Galopp, Verweigern des Galopps)
Diagnose
Die Diagnose von Kissing Spines erfolgt in der Regel durch eine Kombination aus klinischer Untersuchung und bildgebenden Verfahren wie Röntgenaufnahmen oder Ultraschall. Eine genaue Diagnose ist entscheidend, um die richtige Behandlung einzuleiten. Röntgenaufnahmen im richtigen Winkel ermöglichen es dem Tierarzt, den Abstand zwischen den Dornfortsätzen zu beurteilen und festzustellen, ob es Anzeichen für die Kissing Spines gibt.
Ein Röntgenbild kann allerdings lediglich die Pathologie der Wirbel-Knochen darstellen, über den vollständigen Umfang von Entzündung und der Schmerzen kann ein Röntgenbild keine Aussage treffen. Die Diagnose von Kissing Spines anhand von Symptomen kann ebenfalls trügerisch sein, da einige Pferde auf Röntgenbildern Anzeichen von Kissing Spines aufweisen, jedoch keine Anzeichen von Rückenschmerzen zeigen.
Der britische Wissenschaftler Leo Jeffcott kategorisierte 1980 den Schweregrad von Rückenwirbel-Beeinträchtigungen in fünf Stufen/Graden in Folge einer Studie mit 430 Pferden.
Dank der technischen Verbesserung der Bildqualität kann die Problematik mittlerweile immer besser sichtbar gemacht werden und durch die Sensibilisierung der Tierärzte für das Thema oft bereits schon diagnostiziert werden, wenn die Rückenwirbel nur zeitweise aneinanderstoßen.
Behandlung von Pferden mit Kissing Spines
Die Behandlung von Kissing Spines kann je nach Schweregrad der Erkrankung variieren.
Es gibt verschiedene Therapieansätze – Zu den gängigen Behandlungsmethoden gehören:
- Physiotherapie und gezieltes Training zur Stärkung der Rückenmuskulatur
- Medikamentöse Schmerztherapie
- Injektionen von entzündungshemmenden Medikamenten
- Chirurgische Eingriffe in schweren Fällen
Kinesiotapes können Rückenschmerzen lindern
Der Einsatz von Kinesiotherapie-Tapes hat sich als eine gute ergänzende und nicht-medikamentöse Möglichkeit erwiesen die Schmerztherapie bei Pferden mit Rückenschmerzen zu unterstützen. Eine Studie der Colorado State University hat gezeigt, dass Kinesio-Tape dazu beitragen können, Rückenschmerzen bei Pferden zu lindern. Die Forscher stellten fest, dass das kinesiologische Tape die Schmerzempfindlichkeit der Pferde signifikant verringerte. Nach der Entfernung des Tapes, 24 Stunden später und selbst 48 Stunden danach. reagierten die Pferde weniger empfindlich auf Druck. Kinesio-Tape sind daher sinnvolle ergänzende Therapiemethode und vielversprechende, schonende Alternative zu medikamentösen Behandlungen für Pferde mit Kissing Spines.
Prävention von Kissing Spines
Um Kissing Spines vorzubeugen, ist es wichtig, sich mit der Anatomie und Biomechanik des Pferdes auseinanderzusetzen. Viele der heutigen Reitpraktiken und -Anweisungen führen zu Problemen, statt sie zu vermeiden. Dies ist durchaus unabhängig von den eigentlichen Reitlehren.
Eine gute Reitweise dient vorrangig der Gesundheitsförderung und Erhaltung des Pferdes und stellt alle anderen Ziele hinten an.
Die Auswahl eines gut angepassten Sattels ist zwingende Voraussetzung für ein Rückenschonendes Verteilen des Reitergewichts. Regelmäßige Kontrollen und Behandlung durch Tierärzte und Therapeuten können ebenfalls dazu beitragen, das Risiko dieser Erkrankung zu minimieren udn Probleme frühzeitig zu erkennen.
Training und weitere Therapie betroffener Pferde
Ziel des Trainingsansatzes muss es sein, dass nicht lediglich die pathologischen (krankhaften) Veränderungen und Folgeschäden behandelt werden, sondern die Kinematik-Anomalien, die die pathologischen Veränderungen verursachen zu behandeln.
Die Lösung besteht also darin, neue und angemessene Bewegungsmuster zu schaffen, was nur möglich ist, wenn sich das Pferd in Bewegung befindet
Es gilt es die vorhandenen Haltungs- und Bewegungsmuster der betroffenen Pferde genaustens zu analysieren und anschliessend „in der Bewegung“ zu optimieren, bzw. weitesgehend zu korrigieren. Durch gezieltes Training an der Hand (ohne Reiter) kann das Pferd den Körper ohne Reitergewicht optimal verbessern.
Durch eine gezielte Handarbeit lernt der Körper so nach und nach die für eine schmerzfreie Bewegung wichtigen Bewegungsmuster zuerst kennen, dann zu nutzen, um sie nach und nach als die „normal“ genutzten Bewegungsmuster zu speichern.
Pferde mit Kissing Spines können anschließend unter Berücksichtigung einiger wichtiger Punkte oftmals auch wieder/weiterhin geritten werden.
- Passender Sattel: Ein gut sitzender Sattel ist entscheidend, um den Rücken des Pferdes zu entlasten und das Reitergewicht ideal auf dem Rücken zu verteilen
- Korrektes Reiten: Ein schonendes und pferdegerechtes Reiten ist wichtig, um den Rücken nicht zusätzlich zu belasten. Das Reiten muss sich an der Anatomie und Biomechanik des Pferdekörpers und der vorhandenen Probleme orientieren.
- Muskelaufbau: Gezieltes Training zum Aufbau der Rückenmuskulatur kann helfen, den Rücken zu stabilisieren.
- Faszientraining: Die Faszien enthalten einen Großteil der freien Nervenenden und sind maßgeblich für die Steuerung der Muskulatur verantwortlich. Die Bewegungsmuster werden also vor allem durch die Faszien aufgerufen und abgespeichert. Beeinträchtigtes Fasziengewebe führt zu Koordinationsproblemen, Kompensationsbewegungen und – Haltungen und zu Schmerzen.
- Bodenarbeit und Handarbeit: Regelmäßige Bodenarbeit und vor allem klassische Handarbeit kann die Beweglichkeit und Koordination des Pferdes verbessern.
Achtung – das das Pferd von Natur aus vor allem ein „Geradeausläufer“ ist, ist ausgedehntes und rundenweises Longieren meist eher nachteilig für den Pferdekörper. - Aufsteigen von einer geeigneten Aufstiegshilfe: Das Aufsteigen in den Sattel vom Boden belastet den Pferderücken bereits vor dem Reiten extrem einseitig, führt zu Verspannungen, Abwehrverhalten und fördert auch eine Schiefe und Händigkeit des Pferdes. In früheren Zeiten war das Aufsteigen vom “Vortheil” durchaus “normal” – an vielen älteren Gebäuden sieht man auch heute noch entsprechende Steine oder Vorsprünge die dem besseren Aufsteigen in den Sattel dienten.
Mehr zur Effizienz der Pferdebewegung im kostenlosen Webinar:
Kostenloses Webinar – Die Effizienz der Pferdebewegung
In diesem Webinar möchte ich Euch mal wieder mitnehmen auf eine spannende kleine Reise durch den Pferdekörper. Wir schauen uns die Funktionsweise des Pferdes an und welche Aspekte davon wichtig für unser Reiten sind. Wir hinterfragen Theorien und Erklärungsmodelle kritisch und überlegen was das für das gesunde Reiten in der Konsequenz heißt.
Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel dient nur zu Informationszwecken und ersetzt nicht die Beratung durch einen Tierarzt oder Therapeuten. Wenn Du den Verdacht hast, dass Dein Pferd an Kissing Spines leidet, solltest Du unbedingt einen Tierarzt konsultieren. Dieser kann die Erkrankung und den Schweregrad diagnostizieren. Mit Hilfe eines Therapeuten und erfahrenen Trainers lässt sich dann Ausarbeiten welche Behandlungsmöglichkeiten und Trainingsmöglichkeiten in Frage kommen.